Warum stockt die Bürger*innen-Energiewende?

Jul 18, 2018

Seit einigen Jahren ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Energiewende rückläufig. Das liegt nicht deren mangelnden Willen, sondern an falschen politischen Weichenstellungen. Diese Hürden müssen nun dringend wieder abgebaut werden.

Eigentlich ist die Energiewende eine Bürger*innen-Energiewende: Fast jede dritte Ökostrom-Anlage in Deutschland ist in Bürger*innen-Hand, nimmt man die Landwirte hinzu, sind es laut Angaben der Agentur für Erneuerbare Energien sogar 42 Prozent. Seit einigen Jahren ist die Entwicklung allerdings in allen Bereichen – Wind, Photovoltaik, Biomasse –  rückläufig. Wurden zwischen 2010 und 2013 jeweils noch über 100 neue Bürgerenergiegenossenschaften gegründet, waren es 2016 und 2017 nur 19 bzw. 24. Unterstützt durch Politik und Gesetzgebung  werden sie zurückgedrängt und verlieren Marktanteile zugunsten der großen Energieanbieter, Projektierer, Fonds und Banken.

Problem Ausschreibungsmodell

„Das Ausschreibungsmodell, das seit 2017 gilt, ist für kleine Genossenschaften viel zu aufwändig,“, so Rainer Schüle, Vorstand der OEKOGENO. „Sie können ein solches Ausschreibungsverfahren nicht stemmen und wenn sie es doch riskieren, ist die Wahrscheinlichkeit, gegen die großen Akteure zu verlieren, viel zu groß.“ Beim Ausschreibungsmodell wird die Vergütungshöhe für den erneuerbaren Strom durch ein Bieterverfahren ermittelt, das für mehr Wettbewerb und niedrigere Kosten sorgen soll. Zuletzt kam auch eine Studie des Landesverbands Erneuerbare Energien und des Weltwindenergieverbandes WWEA zu dem Schluss, dass Bürgerenergiegenossenschaften bei Ausschreibungen grundsätzlich benachteiligt werden.

Immer höhere Hürden, immer komplexere Regelungen

Doch das Ausschreibungsmodell ist nur eine Hürde, die sich den Bürgerinnen und Bürgern in den Weg stellt. So ist auch der Aufwand, der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) bei der Erstellung von Prospekten verlangt wird, enorm gestiegen. Ziel dieser Prospekte ist es, die Anleger*innen über die Bedingungen und Risiken aufzuklären. „Der Aufwand lohnt sich nur noch bei den richtig großen Projekten“, so Rainer Schüle. „Für Genossenschaften werden die Möglichkeiten, Geld für ihre Projekte einzusammeln, dadurch immer mehr eingeschränkt.“

Die Hürden bei der Regional- und Raumplanung sind ebenfalls höher geworden. So wurden z. B. die Kriterien für die Freiflächen, auf denen Solaranlagen gebaut werden dürfen, in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft. Der Bundesverband für Solarwirtschaft sprach bereits 2013 von einem „Aus für die Freiflächenanlagen“.  Bei Windenergieanlagen wurde es auch nicht einfacher für Projekte, die von Bürgerinnen und Bürgern getragen werden. „In Baden-Württemberg haben sich die Zuständigkeiten in den vergangenen Jahren immer wieder geändert – von der Regionalplanung zu den Kommunen und zum Teil wieder zurück“, so Rainer Schüle. „Das hilft nicht bei der Planung und Umsetzung von Projekten. Dazu kommen immer neue Regelungen beim Artenschutz, beim Naturschutz und Landschaftsschutz. Das sind alles wichtige Punkte, die man beachten sollte. Allerdings hat es die Anti-Wind-Lobby geschafft, diese Argumente für sich zu nutzen und viele Anlagen zu verhindern.“
Wenn es eine Genossenschaft schafft, trotz dieser Hürden erneuerbaren Strom zu produzieren, kommt noch das Problem der Vermarktung hinzu. Einerseits gibt es einen Zwang zur Vermarktung, andererseits wird diese durch Auflagen und Zusatzkosten behindert

Vorrang für echte Bürger*innenenergie

„Wir müssen dringend wieder Rahmenbedingungen schaffen, die echte Bürger*innen-Projekte ermöglichen“, fordert Rainer Schüle. „Es muss einen vereinfachten Zugang zum Markt für die Bürger*innen-Energie geben, sie muss vom Ausschreibungssystem ausgenommen werden. Bürger*innen-Kapital muss endlich Vorrang haben.“ Die OEKOGENO fordert daher einen bundesweiten Aktionsplan für den Ausbau der Anlagen in Bürger*innen-Hand. Es muss eine klare Zeitplanung und klare Ausbauziele geben. „Das alles funktioniert nur, wenn endlich ein verbindlicher Plan für den Kohleausstieg entwickelt wird, der konsequent im Sinne einer echten Energiewende umgesetzt wird“, so Rainer Schüle.